I Love Dick!, Transparent, queere Serienerzeugerinnen: Katrin Köppert berichtet in ihrem queeren Zwischenruf von Kunst, Weiblichkeit* und Exzentrik.
Komisch manchmal diese Überblendung von Lese- und Höreindrücken, diese Vermischung im Medienalltag, die einen nicht mehr loslässt. Die Musikerin Mary Ocher und die Schriftstellerin Chris Kraus haben sich eigentlich erst einmal sehr wenig zu sagen. Aber durch die Gleichzeitigkeit des Lesens von I Love Dick von Kraus und Hörens von The West Against the People von Ocher beim Yo Sissy! Festival in Berlin klebt die Frage nach Kunst und Weiblichkeit, Exzentrik und First-Person-Fiction, dem ekstatischen Selbst und the voice of madness an mir. Das Interesse am Zusammenspiel von Verrücktheit und queer-feministischer Politik kommt vermutlich nicht von ungefähr. Schließlich befinden wir uns in einer Zeit, in der Crazyness und Postfaktisches die Mitte der Politik und bürgerlichen Sphäre auf so deftig beunruhigende Weise prägen, dass einem die doppelt heftige Rückkehr von ‚Normalität’ schwant – wobei da ja nichts mehr schwant: Sind wir nicht schon mitten drin, oder wie war das nochmal mit WahlKAMPF? Befinden wir uns nicht schon im Beschwichtigungsmodus, im Modus der Renormalisierung des politischen Geschäfts, in dem viele nur an den Lebensrealitäten vorbeilächeln? Aber in diesen Abgrund wollte ich eigentlich nicht springen.
Political Madness
Viel lieber möchte ich zu der Frage nach dem Zusammenspiel von Verrücktheit und queer-feministischer Politik kommen und fange mit Ocher an.
MARY OCHER - On The Streets Of Hard Labor - HauteAreal
Direkt auf YouTube ansehenSie sah ich beim Yo Sissy!, dem US-amerikanischen Export des heißen Scheiß’ queerer Musikfestivalkultur oder anders der Schau der neuesten Modetrends queerer Subkultur. Vor lauter Gucken und Sich-Präsentieren war offensichtlich einigen im Publikum entgangen, dass es da musikalisch durchaus was auf die Ohren gab. Aber Bejubeln und Tanzen wird überbewertet, vor allem in Berlin und vor allem, wenn einem zu später Stund schon das Hirn zu vernebelt ist, um noch Chicks on Speed anzuhimmeln.
Schon bei Mary Ocher standen nur ein paar verstreut im Raum herum und die, die da waren, wussten auch nicht recht, wie sie sich zu verhalten gedachten zu dieser – ja – Madness. Im politischen Sinne. Die männliche Geschichte weiblicher Hysterie kennen wir ja und lehnen wir ab, weswegen es hier einen anderen Begriff braucht, der versucht zu fassen, was Mary Ocher da macht. Political Madness?
Allein schon der Effekt der verrutschenden, vibrierenden Stimme, wenn sie den Kopf beim Singen schüttelt, oder die quietschenden Sounds, lassen Verrücktheit vermuten. Die dicken Brillengläser, die nahezu das gesamte Gesicht verhüllen, bestärken diesen Eindruck. Dabei ist Verrücktheit hier nie abwertend gemeint. Im Gegenteil: Läuft Ocher Gefahr, Verrücktheit im Sinne von Genie und Wahnsinn zu überhöhen? Dies ist ja auch so eine Geschichte, die oft genug nur für Männer und solche funktioniert, die sich dem männlich konnotierten Kunstverständnis verschrieben haben. In diesem Sinne skeptisch war ich in Hinblick auf die sozialdokumentarische Fotografie, die im Hintergrund als Teil der multimedialen Inszenierung durchlief und mich an die verstörenden Portraits der verarmten Landbevölkerung von Dorothea Lange oder der als behindert bezeichneten Menschen von Diane Arbus erinnerten. Beide Fotografinnen arbeiteten im Modus der Typologisierung von Menschenbildern. Ein Modus, der, wie schon Susan Sontag schrieb, auf dem Rücken der Ausgegrenzten nicht nur die Großartigkeit des Landes (in diesem Falle US-Amerikas), sondern der hinter der Fotografie stehenden Person begründeten[1]. Nutzt Ocher Bilder der Abgehängten und Verrückten, um sich als Verrücktheits-Avantgarde zu stilisieren?
Ich meine nein. Eher versucht sie damit zu brechen. Allein schon der Titel des beim Konzert vorgestellten Albums The West Against the People markiert eine Verschiebung. Nicht die als anders, verrückt und behindert konnotierten Menschen sind die Bedrohlichen, sondern das System des Westens. Der Westen und all das mit dem Westen im engen Zusammenhang stehende – der Kapitalismus, der Kolonialismus, der Heterosexismus – operiert gegen die Menschen und macht sie krank, arm, schlicht gaga. So zumindest verstehe ich die Botschaft Ochers.
Vielleicht weil wir alle in diesem System gaga gemacht werden, holt derzeit Chris Kraus’ in Form der das Buch verfilmenden Serie I Love Dick! aktuell so viele ab.
Nach Transparent legt die derzeit neben den Wachowski-Schwestern vermutlich queerste Serienerzeugerin zusammen mit Sarah Gubbins einen medialen Rausch hysterischer Zustände vor, die, wie wir durch das Buch wissen, eben nicht nur um Begehren kreisen, auch wenn das Freud gern so gehabt hätte. Stattdessen erleben wir den verzweifelten, hektischen und ins Wahnhafte abgleitenden Kampf, eine feministische, eine queere Stimme in der anachronistischen Crazyness des Systems Westen zu behaupten – oder sollte ich besser sagen Western?
Queere Cowboys
Wenn der dem Beuys‘schen Schema nachempfundene Künstler-Cowboy Dick den Bildschirm mit Potenz zu erdrücken scheint, ist es die Getriebenheit der Figur Chris, die mich durchfühlen ließ, dass etwas mit dem Bild der Männlichkeit nicht stimmen kann. Es ist auch der ins Stalking abschweifende Imitationsdrang der Figur Denver, die das Original des Künstlers und Cowboys als Zerrfigur ausstellt. Mit Denver wird dem Buch in der Serie ein Erzählstrang hinzugegeben, der nichts deutlicher als den Behauptungswillen queerer Cowboys durchzusetzen versucht – was einer mit Blick auf Texas heute (dort spielt die Serie) in der Tat wahnsinnig vorkommt.
Genau hier schließen Ocher und I Love Dick sich zusammen, laufen ineinander über und vermischen sich: In der Übertreibung der Getriebenheit und des Wahnsinns (zum Beispiel eine queere Serie in Texas drehen zu wollen) vergegenwärtigen sie die aktuelle politische Situation, sprich den post-faktischen Erregungszustand von AfD, Trump und Co, und verkehren sie gleichsam. Denn am Ende wissen wir, dass wir nicht Dick lieben, sondern Denver und Co.